Rückblick zur Sommerakademie 2016 zum Thema: „Industrial Ecology“

Die Sommerakademie 2016 fand vom 10. bis 14. September in Pforzheim zum Thema Industrial Ecology (IE) statt. Sie wurde in diesem Jahr unter dem Dach der VÖW gemeinsam vom Netzwerk Industrial Ecology (Prof. Stefan G. Reisemann), dem Institut für Industrial Ecology der Hochschule Pforzheim (Prof. Mario Schmidt) und der Forschungsstelle für Energiewirtschaft (Anika Regett) organisiert.

Erste Einblicke mit Originalstimmen von der Sommerakademie gibt es in diesem Filmbeitrag der Hochschule Pforzheim.

Die Sommerakademie war eine Art Intensivkurs in Sachen Industriegesellschaft und Umwelt, bei der namhafte Referenten aus ganz Deutschland ihre Forschungsergebnisse auf verständliche Weise vermittelten. Die Teilnehmenden konnten auch ihre eigenen Forschungsarbeiten vorstellen und diskutieren. In verschiedenen Workshops und Fallbeispielen wurden unter kompetenter Anleitung eigene Ergebnisse erarbeitet.

Im Mittelpunkt von Industrial Ecology stehen die Material- und Energieverbräuche und die Wechselbeziehungen zwischen industrieller Zivilisation und Natur. Dr. Peter-Paul Pichler vom renommierten Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung brachte es gleich zu Beginn der Sommerakademie auf den Punkt: Während die Menschen als Sammler und Jäger vor einer Million Jahren mit einem Energiebedarf von ca. 10 bis 20 Giga-Joule  – die erforderliche Sonnenenergie und Brennholz eingerechnet – und etwa einer Tonne Material pro Jahr und Person auskamen, benötigte die Agrargesellschaft vor 10.000 Jahren schon die drei- bis fünffache Menge an Energie und Material. Heute entfallen ca. 150 bis 400 Giga-Joule Energie- und 15 bis 25 Tonnen Materialbedarf pro Jahr auf einen Erdenbürger – der Preis für die vielen Wohltaten der Zivilisation, die zweifellos das Leben der Menschen auch bereichert haben. Aber mit diesen Mengen stößt der Mensch in den Bereich der natürlichen Stoffumsätze auf der Erde und bringt viele Kreisläufe der Natur durcheinander. Deswegen ist heute auch von der neuen erdgeschichtlichen Epoche des Anthropozäns die Rede.

Professor Stefan Pauliuk von der Universität Freiburg untermauerte diesen Materialumsatz mit sehr plastischen Ausführungen über den weltweiten Einsatz von Eisen und Stahl (mehrere Milliarden Tonnen pro Jahr), welche Bedeutung dieser für die Infrastruktur hat, welche Umweltwirkungen damit verbunden sind und wie sich das Recycling von Eisen und Stahl vermutlich entwickeln wird. Er plädierte insbesondere für eine deutliche Verbesserung der Materialeffizienz, um den Bedarf an Rohstoffen und die ökologischen Auswirkungen zu verringern.

Professor Georg Rombach vom internationalen Aluminiumkonzern Hydro stellte den Teilnehmern in einem Fallbeispiel dann auch die konkrete Aufgabe, wie Recycling forciert werden kann und welche technischen Probleme dabei auftreten. Bei Aluminium ganz wichtig: Die verschiedenen Sorten sauber zu trennen, damit der Verschmutzungsgrad durch Legierungsmetalle gering gehalten werden kann.

Um das enorme Recyclingpotenzial für strategische Metalle aus Altprodukten ging es auch beim Beitrag von Mitveranstalter Professor Stefan G. Reisemann. Er zeigte die Ergebnisse einer Studie für das Umweltbundesamt, bei dem die in 2020 zum potenziellen Recycling anstehenden Mengen an strategischen Metallen, wie Gold, Platin, Neodym, Dysprosium, Gallium, Germanium und vielen anderen, ermittelt wurden und Wege zur Rückgewinnung aufgezeigt wurden. Erschreckend ist dabei, dass derzeit die in vielen Produkten schlummernden Ressourcen zu nahezu 100% ungenutzt bleiben, obwohl Verwertungstechnologien bereitstünden. Teilweise stehen hier nicht existierende Rücknahmewege, regulative Fehlanreize oder schlicht die mangelnde Trennnung von Altprodukten und Komponenten im Weg. Die Hoffnung ist, dass man diese Fehlstellen bei zukünftig in die Verwertung drängenden Produkten von vornherein ausschließt. So sind schon in 2020 erhebliche Mengen an Seltenen Erden aus Pedelecs (Elektrofahrrädern) zu erwarten, die prinzipiell rückgewinnbar wären.

Premiere hatte die Vorstellung eines Berechnungsprogramms und einer Datenbank des Umweltbundesamtes, mit dem die anthropogenen Lagerstätten an Material in Deutschland erfasst werden. Mit jedem Gebäude, mit jeder Straße, Schienentrasse oder Windkraftanlage werden Materialien „gelagert“. Im Prinzip können sie später wieder zurückgewonnen und neu eingesetzt werden. Deutschland ist also gar nicht so arm an Rohstoffen. Sie stecken allerdings nicht im Boden, sondern in unserer Infrastruktur. Urban Mining nennt man deshalb auch den Ansatz, diese Rohstoffe wieder zu nutzen. Dazu muss man aber wissen, wo welche Rohstoffe in welcher Qualität und Zusammensetzung schlummern. Felix Müller vom Umweltbundesamt und Ingo Meinshausen vom Institut für Umweltinformatik ließen die Studentinnen und Studenten der Sommerakademie diesen Ansatz am Beispiel des Recyclings von Windkraftanlagen anwenden.

Praktisch ging es bei der Firma Witzenmann zu, die sich bereit erklärte, einige Teilnehmer anzuleiten, wie man in einem Unternehmen effizient mit Material und Energie umgehen kann, welche Analysemethoden dazu eingesetzt werden und vor welchen Herausforderungen man dabei steht. Für die Teilnehmer war dieser Einblick in die Arbeitswelt besonders eindrucksvoll.

Effizienz als Lösungsstrategie in einem hochindustrialisierten Land, ja sogar in einem Automobil-Land, davon berichtete Gastgeber Professor Mario Schmidt über das Bundesland Baden-Württemberg. 1,3 Millionen Beschäftige arbeiten im „Ländle“ in der produzierenden Wirtschaft. An einer De-Industrialisierung habe deshalb niemand ein Interesse. Er betonte die Wichtigkeit des Dialogs mit der Wirtschaft und die Suche nach umweltverträglichen Lösungen. Als Mitglied des Nachhaltigkeits­beirats in Baden-Württemberg wirkte er maßgeblich bei der Zieldiskussion zur Nachhaltigkeit mit. Als großen Erfolg bezeichnete er die Abkehr von dem Dreisäulenmodell der Nachhaltigkeit, wo die wirtschaftlichen Ziele immer gleichrangig neben die ökologischen und sozialen gestellt werden. Stattdessen gehe es um das Ausbalancieren der „ökologischen Tragfähigkeit“ mit der „Teilhabe und dem guten Leben“. Die Wirtschaft sei hier nicht Ziel an sich, sondern diene diesen sozialen und ökologischen Herausforderungen, so Schmidt. Die Wirtschaft müsse man als Partner zur Lösung dieser Aufgaben sehen.

Natürlich durfte in einer solchen Veranstaltung auch das Grundsätzliche nicht fehlen. Der Buchautor Dr. Tilman Santarius von der Technischen Universität Berlin hinterfragte die in der Wirtschaft so beliebten Effizienzstrategien. Denn effizientere Technologien müssen nicht zwangsläufig zu weniger Umweltbelastung und Ressourcenverbrauch führen. Oft lösen sie eine erhöhte Nachfrage aus, was den Einspareffekt teilweise wieder zunichtemacht. Diesen „Reboundeffekt“ sieht Santarius auch auf der Verhaltensebene der Konsumenten – wenn man mit dem Kauf eines Elektroautos beispielsweise kein schlechtes Umweltgewissen mehr hat und dann mehr Auto fährt. Jede auch gutgemeinte Maßnahme führt zu einer Veränderung, manchmal eben auch zu weniger erwünschten, war das Resümee einer angeregten Diskussion.

Erstmals mit dabei waren auch die ersten Stipendiaten des kooperativen Promotionskollegs „Energiesysteme und Ressourceneffizienz“, an dem neben der Hochschule Pforzheim die Hochschule für Technik in Stuttgart und das KIT in Karlsruhe beteiligt sind. Das Promotionskolleg wird im Rahmen der Landesgraduiertenförderung durch das Land Baden-Württemberg finanziert und wird 12 Doktoranden betreuen.

Die Veranstalter waren beeindruckt von der offenen Diskussionsatmosphäre der Sommerakademie und dem Engagement der Studentinnen und Studenten. Auch die Teilnehmenden waren durchweg begeistert und zogen eine positive Bilanz: Sie sind alle mit Fragen zu Nachhaltigkeitsthemen nach Pforzheim gekommen, die sie persönlich oder in ihrem Studium bewegt hatten. Viele dieser Fragen wurden in der Sommerakademie beantwortet, allerdings wurden auch neue aufgeworfen. Doch diese machen neugierig auf die aktuelle Nachhaltigkeitsforschung und so reisten die angehenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler motiviert zurück an ihre Studienorte in Deutschland und Österreich.

Die Zeitschrift Ökologisches Wirtschaften mit dem entsprechenden Schwerpunkt ist hier zu finden.

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